Damon Krukowski: Oberflächengeräusch
Ein Auszug aus The New Analog. Listening and Reconnecting in a Digital World (2017) übersetzt von Moritz Baßler über automatische Rauschreduktion und das Ende des Naheffekts.
„Die Stille am Mobiltelefon nennen Toningenieure ›digitales Schwarz‹. Digitales Schwarz ist nicht einfach die Abwesenheit eines Signals, sondern die Abwesenheit von Rauschen. […]
Ähnlich wie die Navigation per GPS platziert die digitale Signalverarbeitung des Handys die Sprecherin immer im selben Nicht-Raum: weder nah noch fern, weder intim noch distanziert. Die Flachheit, die sich dabei ergibt, isoliert nicht nur die Stimme, sondern schaltet Affekt aus. Die Information ist verständlich, aber die Stimme, die sie liefert, lässt sich nur hören, niemals fühlen.
Dieses Fehlen des Naheffekts kennzeichnet auch andere Formen digitaler Kommunikation. Ein Tweet, ein Post auf Facebook, ein Instagramfoto richten sich samt und sonders an jeden, ob nah oder fern von uns, räumlich oder beziehungsweise. Genau wie am Handy wird dabei unsere Möglichkeit eingeschränkt, den Ton der Distanz anzupassen.
Digitale Medien ermöglichen eine deutliche Kommunikation über große Distanzen, aber die Kommunikation von Distanz selbst wird zur Herausforderung. Online und am Telefon steht jeder in derselben räumlichen Beziehung zu allen anderen. Der Naheffekt ist eliminiert.“
Damon Krukowksi: Oberflächengeräusch (07.09.2020)
Ich stimme zu, dass Rauschen (akustisches Abschweifen vom Signal) Kontexte, Affekte und Distanzverhältnisse erzählt, und auch, dass die Kommunikation von Entfernung in digitalen Medien schwieriger geworden ist, aber eliminiert ist der Naheffekt auf gar keinen Fall. Vielleicht lässt es sich akustisch nicht mehr so einfach festmachen, seitdem alle* Podcaster:innen und Streamer:innen so klingen wollen wie Joe Rogan, aber Twitch, YouTuber, Instagram usw. platzen nur so von Inszenierungen von Nähe und Distanz. Gerade weil alles gleich sauber klingt und aussieht, gibt es einen Wettbewerb um die Gestaltung von künstlichem Rauschen. Akustisch meint das zum Beispiel den Einsatz von Hintergrundmusik, vom Chat getriggerte Soundeffekte oder wie Gesprochen wird. Gelaber ist zum Rauschen gemachte Sprache, die Nähe oder Distanz erzeugt, je nachdem, ob es mir etwas bedeutet.
Werner Stangl: Die drei Siebe des Sokrates – Wahrheit – Güte – Notwendigkeit
„Das erste Sieb ist das Sieb der Wahrheit. Bist du dir sicher, dass das, was du mir erzählen möchtest, wahr ist?“ „Nein, ich habe gehört, wie es jemand erzählt hat.“ „Aha. Aber dann ist es doch sicher durch das zweite Sieb gegangen, das Sieb des Guten? Ist es etwas Gutes, das du über meinen Freund erzählen möchtest?“ Zögernd antwortete der Mann: „Nein, das nicht. Im Gegenteil….“ „Hm,“ sagte Sokrates, „jetzt bleibt uns nur noch das dritte Sieb. Ist es notwendig, dass du mir erzählst, was dich so aufregt?“ „Nein, nicht wirklich notwendig,“ antwortete der Mann. „Nun,“ sagte Sokrates lächelnd, „wenn die Geschichte, die du mir erzählen willst, nicht wahr ist, nicht gut ist und nicht notwendig ist, dann vergiss sie besser und belaste mich nicht damit!“
Werner Stangl: Die drei Siebe des Sokrates – Wahrheit – Güte – Notwendigkeit
Viele Chats haben eine automatische SPAM- bzw. Anstandserkennung. Wären die drei Siebe nicht eine Idee für die Grauzonen, wenn sich der Computer nicht sicher ist? „Ich weiß nicht, was du da vorhast, aber bevor du diese Nachricht abschickst, sage mir…“
David Nichols: The Rise of Functional Techwear, Drive-In Walmart Movie Theaters, and the Dark Souls FPS
In seinem Newsletter The Land of Random schreibt David Nichols über eine neue Generation von Functional Teachwear, also klassisch deutsche Funktionskleidung gepaart mit Silicon Valley Ideologie und einer Prise Endzeitästhetik.
Dazu passend Cloothing As Platfom von Rachel Huber u. a. über „smarte“ (also Daten sammelnde) Kleidung und Luxumarken, die RFID Chips nutzen wollen, um die Bewegung des Kleidungsstücks zum Kunden und vor allem auf dem Gebrauchtmarkt und durch die Hände von Resellern verfolgen zu können.
Other Internet: Squad-Wealth
Der Thinktank sry Squad Other Internet denkt über sich selber nach. COVID-19 hat gezeigt, wie schwer es in der Gegenwart ist, als Individuum über die Runden zu kommen. Noch stärker auf Gruppenresilienz zu setzen hieße aber auch, finanzielle Risiken zu teilen. Aber wie funktioniert das für privilegierte Laptoparbeiter:innen außerhalb alter sozialer Sicherungsstrukturen wie Dorf oder Familie, und zwar ohne dabei „den Vibe zu killen“? Denn der Vibe ist in der Clique alles.
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