WMR142 – Autos Raus!
Wir. Müssen Reden, 18.06.20191
Zwei männlich wahrgenommene Stimmen nah am Mikro. Einer klingt verschlafener als der andere. Leise Mund- und Atemgeräusche. Im Hintergrund hört man Geraschel von Textilien und Glasflaschen.
MSPRO | |
Max, wir müssen reden. | 343MAX |
Du musst, weißt du, nicht auf zwei die Flasche öffnen, sondern nach eins, weil erst dann habe ich den Record Button gedrückt. | |
Du hast schon, nicht auf Record drücken gedrückt? | |
Ne, du hast die Flasche aufgemacht und dann habe ich auf Record gedrückt noch schnell. Weil ich habe gesagt drei, zwei und dann hast du die Flasche direkt aufgemacht ohne… | |
Ja, na gut, ok. Ist egal. Ich finde… | |
Und das, wo ich hier extra Aufnahmeequipment im Flaschenöffner… | |
Ich finde, ich finde, wir müssen auch, ich bemühe mich auch um ein bisschen Variation rein zu bringen. | Achso. Achso, das war Absicht. |
Wir können ja auch mal so ein missglückter, ähm missglückte WMR Anmoderationen sind ja auch unser Stil. Das gehört ja irgendwie auch dazu. | Ja |
Da hat ein Sounddesign-Team zwei Wochen dran gesessen nur an diesem miss… nicht vorhandenen Biersound. | |
Genau. | |
Hantiert mit einer Flasche. | Genau. |
Ich trinke jetzt übrigens ähm… Nimmt hörbar einen Schluck …Gösser. | |
Nimmt einen weiteren Schluck. | |
Mit Zitronenlimonade. | Das ist so Alster oder Radler. Je nachdem. Aber ich finde, es schmeckt… |
Ich finde nur, selbstgemachtes Alster schmeckt so richtig gut, das hier schmeckt so ein bisschen, ich find, ich mag die nicht die. | |
Ich mag die Gösser ganz gerne, also es ist mein Lieblingsradler muss ich sagen. | |
Von weiter weg: Ja? | |
Oder Alster, oder wie auch immer. Weil es ähm, es ist ganz spritzig, das ist halt so richtig schön zitronenlimonadig, richtig spritzig, ähm, frisch irgendwie. Mag ich. | Ich finde es schmeckt zu künstlich und ein bisschen zu süß, aber egal. Ich trink es jetzt trotzdem. |
Ja gut. | |
Ja. | |
Ähm. Genau. Es ist sehr warm in Berlin, deswegen, wir sitzen wieder bei Max äh auf der Couch und äh wir haben uns äh haben uns mal so richtig hingesetzt und uns Themen überlegt. Mindestens die letzten 25 Sekunden. | Lacht. |
Ja. |
Zwei mittelalte weiße Männer drücken einen Knopf und plötzlich ist die Berliner Couch, auf der sie sitzen, eine Bühne, und zwar nicht im Hinterraum einer Kneipe, sondern eher in Größe eines Stadions. Anstelle eines Publikums sehen sie nur die Mikrofone und ein Aufnahmegerät, aber das Publikum ist anwesend. Obwohl sie schon über hundert dieser Gespräche geführt haben, drucksen die beiden rum und überspielen die Verunsicherung, die dieser Auftritt auslöst, in dem sie über das misslungene Anfangsritual und ihr Bier sprechen. Sie versichern sich gleichzeitig der Öffentlichkeit und der Privatheit dieser Situation. Nach der Eröffnungsformel „Max, wir müssen reden“ bemühen sich beide quasi sprachlich um eine offene Bühnenhaltung, um der unsichtbaren Dritten im Raum sprachlich nicht den Rücken zuzuwenden. Auch ohne wissen zu können, wie und worüber sie noch einen Augenblick zuvor gesprochen haben, ist die Veränderung in ihrer Haltung und ihrem Verhältnis zum vorgestellten Publikumsraum hörbar. Etwas ist passiert. Die Aufnahme hat begonnen.
Hier, Da, Dazwischen
Ich drücke ebenfalls einen Knopf – wenn auch einen virtuellen, auf einem Touchscreen – und ich höre zwei Stimmen von Menschen, die ich von Fotos kenne, aber noch nie getroffen habe. Ich höre einen Raum, in dem sich die beiden akustisch treffen und den ich noch nie gesehen habe. Der Sommer, von dem die beiden Stimmen sprechen, ist schon lange vorbei und die Flaschen, aus denen ich sie trinken höre, sind schon lange leer. Die Episode des Podcasts ist eine akustische Flaschenpost mit einem Raum, in dem zwei Stimmen ein Gespräch führen, die ich aber immer wieder neu aus dem Meer ziehen kann. Das Dokument, als das dieses Gespräch zu mir kommt, ist eine Datei, die akustisch gestaltet wurde und auf Interfaces visuell gerahmt erscheint. Zusätzlich zum Hier des Hörens und dem Da der Aufnahme, tut sich so eine dritte Raumkategorie der Verortung auf. In der Datei erhalten Geräusche einen Platz, die nicht in die Vorstellung einer reinen aufgezeichneten Fernübertragung zwischen zwei Orten passen und erst in der Montage zu einer akustischen (Raum)Klangeinheit zusammenkommen. Auch bei so einer ungekürzten Aufnahme wurden die Audiosignale digital bearbeitet2 und komprimiert, bevor sie als Folge verbreitet wurden. In diesem Fall macht sich das Dazwischen des Dateiraumes klein. Es gibt kein Intro, keine Jingles und keine hörbaren Schnitte außer Anfang und Ende.
Kopfhörer
Das Dazwischen ist außerdem der Raum, der mir in meinen Kopfhörern begegnet. Laut einer Umfrage von Edison Research3 hören in Deutschland 63 % der Befragten Podcasts zu Hause, im Auto (10 %), bei der Arbeit (8%) oder in öffentlichen Verkehrsmitteln (8%). Dafür verwenden sie vor allem Smartphones (55 %), Computer (20 %) und Tablets (11 %). Für Großbritannien gibt es vergleichbare Zahlen für die Orte und Geräte, an und mit denen Podcasts gehört werden, auch wenn sie dort etwas häufiger außerhalb der eigenen vier Wände gehört werden als in Deutschland.4 Podcast machten beim Audiokonsum auf Smartphones (inklusive Hörbüchern, Musik, Radio usw.) in Großbritannien zwar nur 18 % Prozent aus, allerdings hören 56 % derjenigen, die überhaupt Kopfhörer verwenden, damit Podcasts. Zusätzlich gaben 90 % der Befragten an, Podcasts primär alleine zu hören.
Der akustische Raum, der sich beim Hören des Podcasts auftut, wird also vor allem alleine bzw. akustisch entkoppelt und im Vergleich zu anderen Klangkonserven überdurchschnittlich oft mit Kopfhörern erlebt. So wie die Person auf der anderen Seite der Webcam nur zwei Armeslängen entfernt zu sein scheint, sitzen die Podcaster:innen im Ohr oder kurz davor. Gerade bei Gesprächspodcasts, die wie im amerikanischen Talkradio oft sehr nah am Mikro sprechen, ist der virtuelle Abstand zwischen Mund und Ohr so gering, wie in wenigen Klangmedien. Näher dran sind nur die am Mikrofon leckenden Münder in ASMR-Videos.
Präsenz
Die Person auf dem Bildschirm hat einen eigenen Körper, in einem eigenen Raum, und auch der Bildschirm, auf dem ich sie sehe, hat eine virtuelle Tiefe und die Tiefe des Raumes, in dem der Bildschirm steht. Die Stimmen im Ohr werden zwar manchmal von Hintergrundgeräuschen begleitet, aber ich höre kaum etwas aus dem Ohrenwinkel. Manchmal werde ich an den Ort erinnert, an dem die Stimmen ursprünglich erklungen sind oder an den Medienraum der Montage, in dem sie zu mir gefunden haben. Aber so wie die Podcaster eine Weile brauchen um die Mikrofone auszublenden, vergesse ich in der U-Bahn für einen Moment, dass nicht alle anderen die gleichen Stimmen im Kopf hören. Die akustische Blase, in die ich mich dabei in der Bahn hülle, holt diese Stimmen in mich und entrückt mich zugleich, gerade weil ich höre, dass es ein Woanders gibt, was parallel zum Hier existiert, welches ich vor mir sehe. Dieser andere Raum ist präsent, weil ich höre, dass er eine Ausdehnung hat und Dinge höre, die darin Platz einnehmen und den Raum zum Klingen bringen. Dabei sind gerade die scheinbar unbedeutenden Geräusche, die Teile von mir und des Ortes im Dazwischen aufeinander treffen lassen. So gibt es zum Beispiel Berichte von der ersten Radioansprache (1924) von König George V. in Großbritannien. Neben der Stimme des Königs an sich, beeindruckte die Kommentator:innen sein Räuspern und das Rascheln des Manuskripts im Hintergrund.5 Dessen indexikalische Qualität verstärkte das damals noch ungewohnte mediatisierte Präsenzerlebnis. Auch knapp einhundert Jahre später hat sich an dieser Medienanordnung und ihrer Faszination nicht viel verändert. Nur ist das Empfangsgerät mittlerweile selber zum Sender geworden und vom Wohnzimmermöbel zur Prothese geworden.
Eine Möglichkeit Präsenz zu beschreiben ist als ein räumliches Verhältnis: Etwas erreicht den Körper, beziehungsweise betrifft den Leib. Ein Ereignis wird physisch verarbeitet und überdeckt als Erleben eines Momentes der Intensität, die aus einem Akt der Weltinterpretation resultierende Erfahrung dieses Erlebnisses.6 Präsenz zu produzieren heißt dann auf den Leib einzuwirken und zu hoffen (denn Präsenz ist nur bedingt planbar), dass der Sinngehalt einer Sache ihren Präsenzgehalt nicht überdeckt.7 Im Fall dieses Podcasts kommt die intensivierte Leiberfahrung durch die virtuelle physische Nähe der beiden Stimmen zum Körper zustande. Was ich höre, passt aber nicht zu dem, was ich sehe und gerade weil dadurch mehr Interpretation vonnöten ist, um die Welt beisammen zu halten, hat es die Präsenz sozusagen leichter. Nicht umsonst schließen viele, wenn sie sich auf Geräusche oder Musik konzentrieren, die Augen. ■
Acht Essays Über Internetgelaber | (Digitales) Heimeliges Sprechen
- wir.muessenreden.de/2019/06/18/wmr142-autos-raus/
- Rauschunterdrückung, Limiter, Lautstärke usw.
- Edison Research (2019): The Infinite Dial Germany.
- RAJAR (2020): MIDAS Winter 2019.
- Kate Lacey (2013): Listening Publics. The Politics and Experience of Listening in the Media Age, S. 56.
- Hans-Ulrich Gumbrecht (2004): Diesseits der Hermeneutik. Die Produktion von Präsenz, S. 121.
- Manuela Pietraß (2011): „Digitale Präsenz. Der didaktische Mehrwert der Mediengestaltung”, in: Zeitschrift für Pädagogik, Jg. 57, Nr. 3, S. 341.
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