WR1012 Mundsediment
WRINT Realitätsabgleich, 13.11.20191
Zwei männlich wahrgenommene Stimmen nah am Mikro. Wenig Mund oder Atemgeräusche. Aufgedreht, lockere Sprechhaltung. Sie befinden sich nicht im selben Raum.
Das Intro startet und bricht ab. | |
TOBY | |
Wir haben gerade angefangen ’nen Podcast aufzunehmen. Tschuldigung | |
HOLGI | |
Was hast du gerade… | |
Das darf doch nicht wahr sein. | Wir schnacken morgen, okay? |
Das darf doch alles nicht wahr sein. | Ich bin gerade live im Internet, sorry. |
Das darf wirklich, das darf doch… | Lacht. |
Das, also… | Ja, weil das Telefon geklingelt hat. Lacht. |
Das ist doch… | Wir schnacken Morgen, okay? Ja. Bis Morgen. Kichert. Tschüss. |
So, dann ruf ich jetzt mal Mutti an. | |
Telefontastenpiepen. Das Telefon wird abgelegt. | Mach doch mal, die freut sich bestimmt auch. So ich hab schon aufgehört.Man regt dich nicht so auf. |
Das ist, also das ist, das also, Bodenlos ist das! | |
Weißt du, du atmest und klickst immer in deine Intros und Outros rein, da kann ich auch mal telefonieren. | |
Nö, das stimmt ja überhaupt nicht. Doch, neulich habe ich irgendwas veröffentlicht, wo irgendwas, wo irgendein Geröchel drin war. | Lacht: Neulich? |
Wo ich hinterher auch dachte: Oh fuck, was war das denn? | Soll ich dir einfach jedes Mal Bescheid sagen, wenn ich einen WRINT Podcast höre und ich höre was im Intro oder Outro? |
Echt? Normalerweise lösche ich die Spuren – äh – weg die da drunter liegen. | Echt? |
Ja. | |
Dann is das vielleicht mein Atem? | |
Genau, das ist dein Atem…dieses Geröchel | Lacht. |
Intro beginnt erneut. | |
Schleimiges Husten. | Du bist total unprofessionell. |
Weiblich wahrgenommene Stimme im Intro: „Wer redet, ist nicht tot.“ | |
Du gehst mir auf den Zahn | |
Intro wird leiser. | |
Herzlich willkommen zum ältesten deutschen Laberpodcast mit Toby Baier und Stechuhr … | Lacht. |
Ich hab was im Zahn, die ganze Zeit schon … Hantiert hörbar im Mund. Unverständlich. | … und Holger Klein. Zahnarzt! Guck mal, ich hab doch was erlebt. Laut: Yeay! |
… kurz überlegt, ob wir es heute sein lassen. Ja. Wobei… Unverständlich. Genau. | Wir haben eben in der Prewshow, also im Vorgespräch schon darüber gesprochen, dass wir beide … ja. Dass wir beide nichts erlebt haben und alles langweilig ist.Warum sollen wir nochmal sagen, das Brandner irgendwie ‘nen Opfer, ‘nen Opferfetischist ist? Weil es einfach langweilig ist. |
Ein holpriger Anfang. Erst ein Anruf im falschen Moment, gespielte Entrüstung, ein Metagespräch über die Produktionstechnik und dann nochmal das Intro, der Vollständigkeit halber. Die beiden Stimmen fragen sich, ob sie überhaupt etwas zu erzählen haben, aber sie sprechen trotzdem weiter, weil sie sich dazu verabredet haben, weil sie darauf vertrauen im Verlauf des Gesprächs auf etwas Interessantes, Erzählenswertes zu stoßen, und weil sie ihre Alltäglichkeit zum Thema gemacht haben, schließlich heißt der Podcast Realitätsabgleich. In regelmäßigen Abständen vergleichen Holgi und Toby ihre Lebensrealitäten miteinander – ihren Blick auf die Welt aus dem Lebensalltag heraus. Die konkrete Anekdote, auf die Toby nach diesem Einstieg kommt, ist für sich genommen belanglos, zumindest wenn man nicht dem Nischenpublikum angehört, das sich für das Thema „Angst vor der Zahnärzt:in“ interessiert. Interessant wird die Geschichte für mich erst im Kontext der Folge und meiner parasozialen Beziehung zu den beiden Hosts und ihrer Beziehung zueinander. Die Erzählung ist Teil einer Geschichte von Gesprächen, die sich im Verlauf vieler Folgen und Stunden entwickelt. Zusammengekittet werden diese kleinen Erzählungen durch Gelaber.
Laberpodcasts
Labern, schwafeln, sabbeln oder plappern ist Reden, das als unsinnig bewertet wird. Das Verb labern ist etymologisch mit dem Löffel, dem schlürfenden Trinken, dem Lecken und Schlecken verwandt.2 Es bezeichnet eher die Geräusche, die der Mund macht, als was diese Geräusche bedeuten. Im abgebrochenen und wieder angefangenen Intro dieser Folge bezeichnet Holgi den Podcast als Laberpodcast. Damit eignet er sich eine oftmals abwertend gemeinte Genrebezeichnung an. Während andere Genres ihre Bezeichnung und Selbstverständnis aus vergleichbaren Formaten anderer Medien übernehmen, (z. B. Hörspiel, Magazin, Show) fehlt eine solche Medienanalogie für diese Art von Gespräch. Dass sich zwei oder mehr (in der Regel männliche und weiße) Personen miteinander unterhalten, findet zum Beispiel auch im Radio statt, jedoch in der Regel innerhalb eines thematischen und zeitlichen Gerüsts und mit der Sprechhaltung des öffentlichen, repräsentativen Auftritts.
Der Laberpodcast repräsentiert die Abgrenzung von diesem Korsett unter den Möglichkeiten, mit einfachen Mitteln selber veröffentlichen zu können. Die abschätzige Bezeichnung als Laberpodcast ist somit auch als Reaktion auf einen wahrgenommenen Angriff auf die Autorität der Massenmedien zu verstehen, die sich nicht mehr auf die Fähigkeit zu senden, also auf den Besitz eines Ü-Wagens, eines Studios und Zugang zu einem Sendemast, zurückführen lässt.
„Traditional journalism is all about delivering a final product to an audience and saying: ‚Trust us, here’s our omniscient authority that we have earned‘. Podcasting is, by definition, a more vulnerable, transparent medium. You can hear the reporters uncertainty.“3
Gelaber ist in diesem Fall also auch die Bewertung eines Anspruchs von einer wie auch immer definierten Professionalität als Sendende:r. Mit der Selbstbezeichnung als Laberpodcast unterläuft Holgi diesen Anspruch hier ironisch und tut ihn ab. Natürlich labern die beiden im engeren Sinne der Bedeutung des Wortes nicht, was sie sagen ergibt Sinn und ist verständlich, aber aus dem Blickwinkel einer alten Medienwelt, in der jede Sendesekunde begründet werden muss, ergibt es keinen Sinn, dass überhaupt gesendet wird. In der Bezeichnung Laberpodcast verbirgt sich dann die Frage:
„Warum soll sich das denn jemand anhören?“.
Viel interessanter ist aber, warum ich mir das anhören will, oder vielleicht einfacher, was ich da eigentlich höre.
Palaver
Ich höre zum Beispiel einen unglücklichen Einstieg, der aber nicht weggeschnitten wurde, weil es eigentlich ein geglückter Einstieg ist. Geglückt, weil hier nicht nur die Produktionsbedingungen transparent gemacht werden, sondern auch die freundschaftliche Beziehung zwischen den beiden Personen und ihrer Stimmung erzählt wird, noch bevor sie selber zum Thema gemacht wird. Es ist ein Gemeinschaft stiftendes Sprechen, für die beiden vor den Mikros, aber auch für mich als stummen Teil dieser Beziehung. In dieser Hinsicht ähnelt es einem anderen Beispiel von als überflüssig bewertetem Sprechen, dem Palaver. Damit bezeichneten portugiesische Händler die von endlosem Gerede begleiteten Verhandlungen an der westafrikanische Küste, Anfang des 18. Jahrhunderts. Die einheimische Bevölkerung wiederum übernahm das fremde Wort für ihre religiösen und gerichtlichen Versammlungen. Aus ihrem Mund nahmen es dann englische Seeleute auf und führte es der englischen Allgemeinsprache zu, worüber es ins in Deutsche gelangte.4 In vielen Kulturen gehört das oberflächliche Gespräch, noch selbstverständlicher als in Mitteleuropa, zu Verhandlungsprozessen dazu, je wichtiger die Entscheidung, desto langwieriger ist es. Argumente werden nicht um der Logik willen ausgetauscht, sondern um der Kommunikation willen. Ein ethnologisches Beispiel ist der Baum, unter dem sich getroffen wird, um ein Problem zu besprechen, und unter dem jede solange und soviel beitragen kann,wie sie will, egal ob es unmittelbar den Konflikt betrifft. Der zeitaufwändige, mitunter Tage dauernde Prozess, sichert den Zusammenhalt der Gemeinschaft, indem man ganz wörtlich im Gespräch bleibt.5
Realitätsabgleich
Mit „im Gespräch bleiben“ antwortete auch die Twitch Streamerin Butterfly_Lea in ihrem Stream unter dem Titel „Mein PC ist kaputt :/“ auf meine Frage im Chat, warum sie denn trotz des kaputten Computers mit ihrem Handy streame, auch wenn sie so nichts dabei spielen könne. Sie antwortete, dass es ihr wichtig sei, von ihrer Community nicht vergessen zu werden, schließlich streame sie jede Woche zu festen Uhrzeiten. Außerdem wolle sie das Gefühl vom Verlust des PCs (und die Nachricht über diesen Verlust) eben mit jener Community teilen. Am wichtigsten sei aber, dass sie gefallen daran gefunden habe, einfach nur „mit euch“ zu quatschen und zu diskutieren, einen Einblick in „euer Leben und eure Sicht“ zu bekommen. Die Gemeinschaft und die gemeinsame Geschichte wird in Form des quatschenden Realitätsabgleichs weitererzählt. Das Gerede scheint dabei nicht so wichtig zu sein, wie dass geredet wird.
Heideggers Gerede
Im Gegensatz zum allgemeinen Sprachgebrauch ist das Gerede bei Martin Heidegger hingegen nicht negativ konnotiert. Mit Gerede meint er, worüber man redet und schreibt. Die Funktion des Man ist die Öffentlichkeit, auf die man sich zum Beispiel mit einem „Das macht man so!“ berufen kann:
„In der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel, in der Verwendung des Nachrichtenwesens (Zeitung) ist jeder Andere wie der Andere. Dieses Miteinandersein löst das eigene Dasein völlig in die Seinsart »der Anderen« auf, so zwar, daß die Anderen in ihrer Unterschiedlichkeit und Ausdrücklichkeit noch mehr verschwinden. […] Wir genießen und vergnügen uns, wie man genießt; wir lesen, sehen und urteilen über Literatur und Kunst, wie man sieht und urteilt; wir ziehen uns aber auch vom »großen Haufen« zurück, wie man sich zurückzieht; wir finden »empörend«, was man empörend findet. Das Man, das kein bestimmtes ist und das Alle […] sind, schreibt die Seinsart der Alltäglichkeit vor.“6
Das Gerede widerum ist die „Seinsart des Verstehens und Auslegung des alltäglichen Daseins“7:
„Das Gerede ist die Möglichkeit, alles zu verstehen ohne vorgängige Zuneigung der Sache. […] Das Gerede, das jeder aufraffen kann, entbindet nicht nur von der Aufgabe echten Verstehens, sondern bildet eine indiferente Verständlichkeit aus, der nichts mehr verschlossen ist.“8
Weil das Gerede also kein „echtes Verstehen“ leisten muss, sondern nur, dass man sich gemeinsam in derselben Durchschnittlichkeit versteht, lässt sich damit auch über alles reden und jede:r kann aus Hörensagen mitreden. Heidegger nennt das nach- und weiterreden.8 Diese alltägliche Ausgelegtheit der Welt wird so quasi zur kommunikativen Grundlage des Weltverständnisses. Zum Gerede gehört das Hörensagen wie das Angelesene zum Geschreibe. Podcasts sind demnach Angehörenes.
Barthes Gestammel
Das Angehörte ist in diesem Fall ein ungeschnittenes Gespräch. Es ist ein Sprechen in dem permanent über die eigenen Sätze, Gedanken und Worte gestolpert wird und an dessen Assoziationen sich der Inhalt der Gegenstand des Gesprächs entlang hangelt. Ein Sprechen, dessen Fluss immer nur etwas hinzugefügt, aber nicht weggenommen werden kann. Roland Barthes nennt das Gestammel:
„Das Sprechen ist unumkehrbar, dies ist sein Verhängnis. Das Gesagte lässt sich nicht zurücknehmen, außer durch Vermehrung: Korrigieren heisst hier bizarrerweise hinzufügen. Beim Sprechen kann ich nicht löschen, wegstreichen, annullieren; ich kann nichts anderes tun als sagen ›ich annulliere, ich lösche, ich berichtige‹, kurz, wieder sprechen.“9
In diesem „Verhängnis“ liegt aber auch seine Kraft. Um zu widersprechen, muss ich wieder sprechen:
„Sprechen ist immer ein Hören, ein hörendes Mit- verstehen des Gesprochen, das ein Wieder-Sprechen überhaupt als eine Wiederholung erkennt. Diesem Hören obliegt es zugleich, den Sinn der Laute als Möglichkeiten aufzuspannen und im Nachhall der verklingenden Worte zu verknüpfen. Es ist jenes hörende Verstehen, welches in seinem stummen Wieder-Sprechen ein Widersprechen ermöglicht.“10
Natürlich hätte man dieses Gespräch auch schneiden können, aber schon die Selbstbezeichnung als Laberpodcast macht deutlich, dass es hier eben nicht um die Aufzeichnung eines Gesprächs geht, sondern um die Praxis des Sprechens:
„[Barths] beklagt die Unmöglichkeit des Löschens, wo keine Notwendigkeit für solches besteht. Das Sprechen verklingt im Moment des Sprechens selbst, ist Ereignis im strengen Sinn des Begriffs. Als Ereignis bleibt es Moment, kann sich nicht als Ganzes der Bewegung ausgeben und fordert doch die Bewegung heraus. Es stellt sich sofort in Frage, verschwindet, zeigt nicht die anmaßende Attitüde der Anwesenheit der Schrift. Wozu sollte man hier löschen? Wie muss das Sprechen gedacht werden, damit es gelöscht werden könnte? »Ich annulliere, ich lösche, ich berichtige« sagt nur jemand, der sein Sprechen mit einem Schreiben verwechselt oder mit dessen Maß misst.“11
Die Geschichte von Gesprächen, an der ich interessiert bin – der Vergemeinschaftung und dem Realitätsabgleich – erlebe ich im Sinnüberschuss des Gestammels. Ich brauche es vielleicht nicht um meine Dorfgemeinschaft beisammen zu halten, aber um andere temporäre Beziehungen herzustellen. Vielleicht ist die Gesamtmenge des alltäglichen Geredes sogar gleich geblieben und hat durch die Digitalisierung und Individualkultur nur den Kanal gewechselt. Gelaber und die Nähe, die es erzeugen kann, ist dadurch als Dienstleistung konsumierbar geworden. Die Notwendigkeit zur gemeinschaftlichen kommunikativen Alltagsweltvermessung besteht weiterhin. Nur kann ich an dieser Kommunikation passiv und aus sicherer, unverfänglicher, häuslicher Distanz teilhaben. Ein Laberpodcast wirkt so wie ein Gespräch unter Freunden, ohne die eigene Person und die eigenen Erlebnisse ins Gespräch einbringen zu können, aber eben auch ohne es zu müssen. ■
Acht Essays Über Internetgelaber | (Digitales) Heimeliges Sprechen
- wrint.de/2019/11/13/wr1012-mundsediment
- DWDS: labern.
- Michael Barbaro zitiert von Rebecca Mead: How Podcasts became a seductive and sometimes slippery mode of storytelling (19.11.2018).
- DWDS: palavern.
- Anna Floerke Scheid (2011): „Under the Palaver Tree: Community Ethics for Truth-Telling and Reconciliation”, in: Journal of the Society of Christian Ethics, Jg. 31, Nr. 1.
- Martin Heidegger (1967): Sein und Zeit [Erstausgabe 1927], S. 126f.
- Martin Heidegger (1967): Sein und Zeit [Erstausgabe 1927], S. 167.
- Martin Heidegger (1967): Sein und Zeit [Erstausgabe 1927], S. 169.
- Roland Barthes (2012): Das Rauschen der Sprache, S. 88.
- Moritz Klenk (2020): Sprechendes Denken. Essays zu einer experimentellen Kulturwissenschaft, S. 174.
- Moritz Klenk (2020): Sprechendes Denken. Essays zu einer experimentellen Kulturwissenschaft, S. 175.
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