Weniger allein sein, ohne dabei sein zu müssen – mein Podcastkonsum während COVID-19

Siehe auch: Rückzug in den Podcast (2022)


Ich habe derzeit ca. 100 Podcasts abonniert. Über die Hälfte davon haben schon seit Monaten oder Jahren keine neue Folge mehr veröffentlicht und viele davon verfolge ich eher aus einem akademischen/beruflichen Interesse. Diese Liste ist also auch ein Archiv, ein Branchenüberblick und ein Forschungswerkzeug. Und trotzdem. Selbst wenn ich die Podcasts abziehe, bei denen ich nur gelegentlich reinhöre, bleiben noch zwischen 10 und 20 Podcasts übrig, bei denen ich am liebsten jede neue Folge hören würde. Und durch COVID-19 hätte ich dieses Jahr sogar zum ersten Mal die Zeit, das auch wirklich zu tun. Tatsächlich sah mein Podcastkonsum während der Pandemie aber bisher ganz anders aus:

1. Comedy und Unterhaltungsformate: Meine Wiedergabeliste ist gefüllt von Vorträgen, Diskussionen, Geschichten und Features zu Themen, die mir am Herzen liegen oder bei denen ich den Macher:innen blind vertraue, aber wenn ich die App öffne, wähle ich meistens doch etwas zum Lachen aus. Das Jahr ist schon ernst und kompliziert genug. Die Klimakrise, die neuen Faschisten und dann auch noch ein Virus. Für viele der Podcasts fehlt mir einfach die Kraft: „Lieber ein andermal, wenn ich konzentrierter/wacher/besser drauf bin“, aber dieser andere Mal kommt natürlich nicht.

Die Podcasts, die ich höre, handeln fast alle von Popkultur und Alltagserlebnissen. Es ist keine Flucht in die Weite und den fantastischen Möglichkeitsraum, sondern in die häusliche Alltäglichkeit.

2. Immer die gleichen Stimmen. Ich höre kaum neues, sondern kehre immer wieder zu denselben vertrauten Stimmen zurück. Dazu gehört, dass ich in den vergangenen Monaten deutlich weniger Interview-Podcasts gehört habe, sondern eher (Gesprächs-)Formate, die von den Hosts dominiert werden.

Der Rückzug ins Bekannte („heimelige„) geht aber noch weiter. Wenn es keine neuen Wohlfühlfolgen mehr in der Wiedergabeliste gibt, gehe ich eher ins Archiv, als die Komfortzone zu verlassen. Es ist egal, ob eine Episode von 2012 ist. Wichtig ist, dass es eine neue Episode in meiner Beziehung zu einer Stimme ist. Die Kontinuität des Hörens ist wichtiger als der Gegenwartsbezug.

In diesen Jahr habe ich mich oft einsam gefühlt und gleichzeitig saß ich so viel am Computer wie seit meiner World of Warcraft Zeit nicht mehr. Soziale Kontakte pflege ich vor allem über gemeinsame Tätigkeiten oder einen geteilten Alltag. Kontakte, um des Kontaktes willen zu halten und zu pflegen, fällt mir schwer. Ich will mir gar nicht ausmalen, wie die vergangenen Monate ohne WG und Ehrenamt ausgesehen hätten (und der Winter liegt noch vor mir). Nicht meine Freundschaften haben unter COVID-19 gelitten, sondern die Bekanntschaften. Die Eingebundenheit in oft als beiläufig abgetane Sozialgefüge und der sprachliche Kitt, der sie zusammenhält. Laberpodcasts haben einen Teil dieser Lücke gefüllt.

Podcasts sind Bekannte, die nicht verschwunden sind. Das Abonnement ist das Treffen, das nicht verabredet werden muss. Der Podcast meldet sich regelmäßig bei mir, ganz egal ob ich die letzte Folge gehört habe. Die Stimme im Kopfhörer ist mir gleichzeitig so nah und fern wie eine Person, die ich zwar freudig grüße, aber zum Abschied nie umarme. Gerade bei kaum oder ungeschnittenen und langen Formaten kann ich eine Version von (un)kontrollierter, körpernaher Verletzlichkeit hören, die ich sonst Online höchstens bei Videokonferenzen und Livestreams erlebe (da dann aber unter dem Druck der aufeinander bezogenen Gegenwärtigkeit als Beteiligter oder Zuschauer).

Margarete Stokowski beschrieb vor ein paar Tagen Podcasts als soziale-Interaktions-Simulatoren. Vielleicht ist es so einfach. In Krisensituationen übernehmen die Instinkte auch in der Podcast-App. Ich habe das Gefühl, im Kontakt zum Rudel zu bleiben. Zwar ohne mich ins Gespräch einbringen zu können, aber eben auch ohne es zu müssen – ohne mich in Gefahr zu bringen. So hört mir zwar nie jemand zu, aber wenn ich genügend ungehörte Folgen runtergeladen, dann muss mir das auch nicht auffallen, ich muss nur schnell genug auf WEITER drücken, wenn das Outro beginnt.


Apropos Gesellschaft leisten und Einsamkeit: Wenn es in den sich gerade herausbildenden Podcast Studies oder in der Werbebranche um parasoziale Beziehungen und die Intimität von Podcasts geht, dann ist man schnell bei Fan-Forschung, Communities oder Klickraten. Das lässt sich zwar gut beobachten, aber denkt die Beziehung zwischen Podcaster:in und Zuhörer:in vielleicht zu aktiv. Natürlich gibt es das auch, aber wenn man das Fernsehen verstehen will, dann schaut man sich schließlich auch nicht (nur) den Blockbuster am Abend an, sondern das Programm vor den Nachrichten.

Eine Antwort

  1. […] Harmontown war während der Pandemie nicht mein einziger Rückzugspodcast. Insbesondere in den ersten Monaten, als ich mich noch nicht an die Maske im Gesicht gewöhnt hatte, wurde die Bedeutung dieser akustischen Rückzugsorte für mich besonders deutlich.4 […]

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert