Zwei akustische Präsenzerlebnisse. Einmal eine Playlist, die meine Freundin durch Hintergrundnähe ersetzen soll und einmal der Druck, eine singende Grußkarte für meine Oma zu besprechen. Einmal hab ich es, einmal such ich es und in beiden Fällen erkenne ich es, wenn ich es höre:
Das Playlist-Radio
Ich habe eine wichtige Spotify Playlist, die ich nach wenigen Regeln befülle. Sie enthält nur Musik, die ich entweder mit gemeinsamen Momenten mit meiner Freundin verknüpfe, oder mit Titeln, die ich als ihre Lieblingslieder wahrnehme und die ich ebenfalls gut, oder zumindest nicht langweilig oder schrecklich finde, was zum Glück meistens der Fall ist.
Ich höre mir diese Playlist sehr selten direkt an, sondern nutze sie vor allem zur Beschwörung des Spotify-Algorithmus. Ihre eigentliche Funktion ist ihr „Radio“: „Mit Spotify Radio erhältst du eine Sammlung von Songs, die auf beliebigen Künstler*innen, Alben, Playlists oder Songs basieren. […] Das ist ideal, wenn du Lust auf Musik hast, aber nicht weißt, was genau du hören möchtest.“ – in meinem Fall, wenn ich Musik hören will, die so klingt, wie wenn ich Zeit mit meiner Freundin verbringe, aber ohne dabei durch die mit Bedeutung und Erinnerung aufgeladene Titel ständig an ihre Abwesenheit erinnert zu werden. Das funktioniert nicht immer, weil Spotify auch Songs aus der Original-Playlist in die Radio-Playlist aufnimmt, aber wenn es funktioniert, dann erzeugt dieser automatisch generierte Musik-Mix in mir ein wohliges Gefühl von unspezifischer Vertrautheit und Wärme, jedoch ohne dabei meine volle Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Quasi ein akustischer Pulli für Regentage, an denen zu viel zu tun ist, um aus dem Fenster zu starren, aber an denen ich es trotzdem gerne gemütlich haben möchte. Personalisiertes Heimatradio.
Die singende Grußkarte
Die Größe meiner Familie wurde in der Pandemie zum Risiko. Die meisten Verwandten habe ich das letzte Mal auf der Beerdigung meines Opas, kurz vor den ersten Ausgangsbeschränkungen 2020 gesehen. Weihnachten folgte dann der Streit welche Besuche bei meiner Oma zu verantworten seien. Im folgenden Jahr wurde deshalb in der WhatsApp-Gruppe meiner Cousins und Cousinen beschlossen, meiner Oma einen großen Adventskalender zu schenken, damit sie während der Adventszeit jeden Tag ein Geschenk auspacken kann.
Neben einer selbst gemachten Marmelade hatte ich mir für mein Türchen überlegt, eine dieser elektronischen Karten besorgen und dann darauf eine Botschaft zu hinterlassen, die sich meine Oma anhören kann, wenn sie sich einsam fühlt. So der Plan. In der Praxis stellte sich das Besprechen der Karte aber als gar nicht so einfach heraus, wie ich es mir bei der Bestellung vorgestellt hatte:
Die Karte nahm nur maximal 40 Sekunden Audio auf und meine Botschaft durfte wegen des schlechten Lautsprechers in der Karte akustisch nicht zu komplex sein, damit sie noch verständlich bleibt. Ich konnte also nicht mit verschiedenen Klangebenen oder musikalischer Begleitung arbeiten. Gleichzeitig sollte die Botschaft aber so vielschichtig sein, dass sie dazu einlädt, mehrmals und in verschiedenen Situationen angehört zu werden, um darin immer wieder neue Sachen zu entdecken. Inhaltlich vielleicht mit einer Prise christlicher Symbolik. Allerdings durfte das alles beim ersten Anhören auch nicht so sehr überfordern, dass meine Oma die Karte verwirrt gleich wieder beiseitelegt.
Die Sprechhaltung sollte Wärme und Nähe vermitteln, durfte also nicht zu formell und distanziert sein. Meine Botschaft sollte nicht aufgesagt klingen, sondern wie im bewussten Vertrauen gesprochen, eventuell mit einem Räuspern am Anfang und einem hörbaren Lächeln am Ende, also stimmlichen Markierungen, welche die Einzigartigkeit der Ausnahmesituation und ihre Performativität betonen und Lust auf die Wiederholung machen.
Gleichzeitig sollte ich mich mit der Botschaft etwas verletzlich machen, um so Nähe zu erzeugen, aber ohne, dass es dabei zu sehr um mich geht, es sollte ja ein Geschenk für sie sein, zudem noch in einem Adventskalender. Also musste die Verletzlichkeit eher in der Stimme liegen. Das, was ich sage, sollte also wie eine vertrauensvolle Offenbarung klingen, aber dabei trotzdem laut und deutlich gesprochen sein, damit nicht zu viel im Hörgerät verloren geht.
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