Public Listening in der Videkonferenz und die Scham beim Hören unter Beobachtung

Die schlagfertigen Antworten fallen einem ja immer erst im Nachhinein ein. Die guten Fragen auch. So war es auch letzten Mittwoch bei einer Reading Session der Podcast Studies PhDs. Besprochen wurde der Text eines Autor, der sich in der zweiten Stunde auch im Zoom zuschaltete. Seine Stimme war aber schon vorher in der Videokonferenz zu hören. Als Vorwort zu seinem Aufsatz hatte er nämlich eine Audiobotschaft aufgenommen, die wir uns gemeinsam anhörten, bevor er sich zuschaltete.

Dabei passierten mehrere Dinge:

  1. Aus der Ansprache und Sprechhaltung wurde schnell klar, dass diese Audiobotschaft nicht zum gemeinsamen Hören gedacht war, sondern uns eigentlich vorher hätte zugeschickt werden sollen.
  2. Manche der Teilnehmer:innen stellten ihre Kameras aus, als der Public Listening Teil begann. Vielleicht mussten manche von ihnen auch einfach nur auf Klo oder wollten ungestört popeln, aber auch ich hatte für einen Moment den Drang meine Kamera auszuschalten. Die Vorstellung, dabei beobachtet zu werden, wie ich mir eine von Privatheit getränkte Audiobotschaft anhöre, war nach einer knappen Stunden inhaltlichen Gespräch überraschend intim. Sobald seine Simme aus dem Nichts erklang, und die Augen nicht mehr wussten, was sie machen sollen, waren plötzlich alle die Angeblickten.
  3. Warum „privat“? Der Autor entschuldigte sich in dieser Audionachricht indirekt für seinen Aufsatz. Der sei ja eigentlich für Literaturwissenschaftler geschrieben, die sonst nichts mit Podcasts zu tun haben, und er sei ja „ein langweiliger Formalist“ und so weiter … Für mich klang das, als spräche da jemand, der sich Sorgen macht, von den vorschnell verurteilt zu werden, deren Interesse er teilt. Seine charmant vorgetragene Offenheit und mit der Stimme, die sich nicht vor Verletzlichkeit scheute, kollidierte in dieser anders geplanten gemeinsamen Hörsituation mit der vorangegangenen entkörperlichten Performance von „wir führen jetzt einen Fachdiskurs“.
  4. Weil wir im ersten Teil etwas überzogen hatte, betrat der Autor die Videokonferenz, während seine Vorrede noch lief und verließ sie schlagartig wieder, als er seine eigene Stimme hörte, wie er später kommentierte. Außerdem muss er in diesem Moment realisiert haben, dass hier gerade das als Vortrag gehört wurde, was er als Podcast aufgenommen hatte.

Und genau das fiel mir erst auf, als wir uns alle schon wieder verabschiedet hatten. Wir ignorierten all diese Dinge. Unser Gast hatte uns mit dieser Vorrede und unserem Public Listening den besten Einstieg für das Gespräch gegeben, den man sich hätte wünschen können, aber unsere Diskussion blieb abstrakt, als würden wir versuchen, die unerwartete Intimität dieses Einstiegs zu verdrängen.

Dabei erfüllte die Audiobotschaft sogar alle Kriterien seines in dem Aufsatz gemachten Vergleichs von Roman und Podcast: Sie brauchte Zeit und ließ sich nicht überfliegen, sondern war ein „single-channel high-focus media adressing a captive audience of one“, nur dass das mit dem „audience of one“ irgendwo in der Weiterleitung verloren ging. Es war ein affektiv wirksames Stück Audio, gesprochen von einer Erzählerstimme, die keine Ergebnisse präsentierte, sondern ihren Prozess auf dem Weg zu ihren Entscheidungen erlebbar machte; eine gestaltete akustische Denkbewegung. Es war ein Podcast, so wie er sie selber beschreibt1 und ich bin nicht darauf eingegangen.

Die Einstiegsfragen hätten also zum Beispiel lauten können: War deine Vorrede geskriptet oder nicht? Macht es einen Unterschied für deinen Vergleich von Podcasts mit dem Roman? Was können Literaturwissenschaftler:innen von diesem Vergleich lernen? Und was wir? Alles ohne dabei (für diesen Kontext) zu persönlich zu werden und deutlich näher am Text, am Thema und am Phänomen, als wir es letztendlich waren.

Tja. Chance verpasst und trotzdem was daraus gelernt. Vielleicht kommen mir diese Gedanken beim nächsten Mal nicht erst im Nachhinein und dann schaffe ich es vielleicht auch mir den Mut zu nehmen, ihnen ohne zu zögern nachzugehen.

Was mich seit diesem Abend aber ebenfalls nicht mehr loslässt, sind Ideen für gemeinsame Höranordnungen. YouTube ist ja voll von Reaction Content und Streamer:innen klicken sich mit dem Finger auf der Pausentasten ständig durch Videos. Es gibt auch Listening Reactions. Meistens aber eher zu Musik(videos). Reine Audiopodcasts sind eben doch zu lang und optisch uninteressant, die Nahaufnahme eines Gesichts, das nur hört eben doch zu awkward – oder? Aber genau diese seltsame und unheimliche der anwesend-abwesenden Person, an dessen Stelle das eigene Gesicht tritt, des nach halt suchenden Auges im Blick der Kamera, dem Hadern mit dem zur Schau stellen der eigenen Privatheit im Spiegel der Intimität der gehörten Stimme; genau das finde ich doch spannend!

Wäre das nicht eine Idee für ein forschendes Unterhaltungsformat? Wir (wer auch immer das ist) hören gemeinsam Podcasts (die Kamera nah dran) und suchen gemeinsam nach diesen Momenten? Wir reflektieren das Medium im Vollzug im eigenen Gesicht und im Gesicht der anderen und produzieren nebenbei auch noch eine unterhaltsame und lehrreiche Show? Das bräuchte zwar genau so viel Mut zur Verletzlichkeit, aber einmal ins Rampenlicht gestellt und vom Authentizitätsgebot erlöst wird aus der Angst dann ganz schnell Neugierde.


  1. Für meinen Geschmack schwimmt in dem ganzen Text eine zu starke Präferenz für geschlossene Formen (zu Ende gestaltete „Werke“?) mit, aber das liegt vielleicht an der Fachrichtung und high-fokus“ und „captive“ würde ich aus seiner Charakterisierung auch streichen, aber das ist jetzt nicht der Punkt und darum verlinke ich den Text auch nicht.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert