In den Podcastverzeichnissen wird normalerweise mehr oder weniger streng nach Genre unterschieden, wobei sich diese Unterteilung größtenteils auf den Inhalt bezieht. Apple unterscheidet zum Beispiel in der Kategorie Education zwischen Courses, How-To, Language Learning und Self-Improvment. Diese Titel sagen in der Regel aber nicht viel darüber aus, wie sich die Podcasts anhören.
Es gibt viele Versuche Podcasts zu typisieren. Richard Berry kondensiert in einem Blogpost verschiedene Listen1 zu drei Typen:
- Conversations
- Narratives
- Fictions
Let me explain. Panel shows and long form interviews are just different ways of having a conversation. These could be free flowing and sound like like the conversations we all have around the dinner table or in the pub; but could equally be a very directed in-depth interview on a topic. Are two or more people talking to each other? It’s a conversation. Many podcasts use a narrative structure, whether this is a multiple-episode documentary, a news podcast that explores a topic, or a single voice telling a story. If it’s structured and planned out, it’s a narrative. Conversations could have other elements inserted into them (such as another piece of audio) but if this is done in a scripted way, then this probably means it’s a piece of a narrative work. In some ways, this finally header could be dispensed with as surely all drama is narrative? But it could be useful to frame fictional work as separate so we can note it’s differences and its relevance.
Richard Berry: There are just 3 types of podcasts (29.07.2020)
Die Unterteilung ist genauso schön wie problematisch, weil jeder der Typen eine andere Ebene berührt. Conversations beschreibt, was da wie klingt (Menschen im (Selbst-)Gespräch), Narratives die Form des Gehörten (irgendeine Form von Erzählung) und Fictions dessen Bewertung und Einordnung (Muss ich mir Sorgen um Aliens machen, die in diesem Moment die USA attackieren?).
Die DNA von Podcasts
Richard Berry geht es bei dieser Kondensierung um die Suche nach der DNA von Podcasts, also nach dem spezifisch podcasthaften. Der Versuch einer Übersetzung seiner Kategorien ist eine gute Gelegenheit meine Notizen zu der Frage auszugraben und mich von den Dingen abzulenken, über die ich gerade stattdessen nachdenken sollte:
- Conversations = Gespräche → Sprechen
- Narratives = Narrationen → Erzählen
- Fictions = Fiktionen → ?
Conversations sind Gespräche, aber vor allem sind sie Sprechend. Narratives sind Narrationen, also Erzählend. Und Fiktionen? Die Unterscheidung würde ich erstmal außen vor lassen, damit sie mir später in den Rücken fallen kann. Aus den drei Kategorien werden so für mich zwei Fragen, die ich an einen Podcast stelle.
Das Sprechen bezieht sich auf die Mündlichkeit. Das meine ich nicht nur wörtlich, weil Personen mit sich, zu den Hörer:innen oder miteinander sprechen, sondern auch im Sinn einer konzeptuellen Mündlichkeit zum Beispiel als Audiomedium im Kontrast zur mehreren hundert Jahren Schriftkultur, als Sprache der Nähe2 oder als tertiäre Oralität3 Das Internet macht unsere Kommunikation eben nicht nur visueller, sondern auch sprechender und Podcast sind ein Grund und Effekt. Wenn ich Frage, wie sprechend ein Podcast ist, dann frage ich mich ob und wie die neue digitale Mündlichkeit zu hören ist (und wonach ich da eigentlich lausche).
Erzählen bezieht sich auf den Umgang mit der Form – wie unter Podcastbedingungen erzählt wird. Richard Berry fragt, wie strukturiert und geplant ein Podcast ist. Das bezieht sich auf eine einzelne Episode, eine Staffel oder auch einen ganzen Podcast. Ursprünglich sind Podcasts technisch durch einen RSS Feed gekennzeichnet. Die Idee hinter der Technik ist, dass man nicht selber immer wieder nachschauen muss, ob es ein neues Datenobjekt an einem bestimmten Platz liegt, sondern dies von einem Programm automatisch nachschlagen lassen kann. RSS ist so eine in Internetjahren alte (1999) Lösung mit dem Problem umzugehen, Zusammenhänge zwischen einzelnen Objekten in der riesigen Datenbank herzustellen.
Offenheit und Geschlossenheit
Ein RSS Feed kann zwar als abgeschlossen markiert werden, zeigt vorher aber offen in die Zukunft. Damit ähneln die Bedingungen, unter denen erzählt wird, eher einer Vorabendserie oder dem Lagerfeuer, an dem ein Stamm jeden Abend zusammenkommt. Die einzelne Folge kann spektakulär und in sich geschlossen sein, entfaltet im Kontext der Gewissheit des Vorangegangenen und der offen gedachten Zukunft noch kommender Geschichten nochmal eine ganz andere Kraft. Nach podcasthaftem Erzählen zu fragen, bedeutet für mich deshalb zu überlegen, wie sich die gewählte Form zu dieser doppelten Offenheit und Episodizität (?) verhält.
Die technische Herleitung über RSS hinkt in Zeiten von Spotify natürlich gewaltig, denn mit den veränderten Bedingungen verändert sich auch das podcasthafte. Für mein Verständnis des podcasthaften ist die Geschlossenheit dieser Plattformen natürlich ein Problem4 und mit Geschlossenheit meine ich nicht, dass ich für den Zugang bezahlen muss, sondern dass die ökonomischen Bedingungen dieser Plattformen auch Produktionsslogiken begünstigen, welche mit er der technischhistorischen Offenheit des Mediums kollidieren. Projekte, Staffeln und Episoden werden ganz praktisch anders geplant und produziert, und so klingt das, was dabei rauskommt natürlich auch anders. Es wird weniger abgeschwiffen, weniger gelabert, weniger offen gesprochen, sondern mehr Text aufgesagt.5
Vor dem Hintergrund der Fragen nach Mündlichkeit und der offenen Erzählform (?) würde ich so sagen, dass es beim Podcasthype ein großes Missverständnis gibt: Es geht beim podcasthaften nicht darum Geschichten in Sprechen zu verpacken, sondern Sprechen dem Raum und den Rahmen zu geben, um etwas zu erzählen. Was nicht heißt, dass es für das andere gerade keinen Markt gibt, der ist wahrscheinlich sogar viel größer, hat meiner Meinung nach aber eher mit der Fokussierung auf Audio und die neue Mündlichkeit im Allgemeinen zu tun.
Fragen für die nächste(n) Woche(n)
Fest & Flauschig und Reply All sind mit diesen Fragen im Kopf beide podcasthaft. Beides sind Gespräche, aber das eine folgt einer strikteren Inszenierungsstrategie. Beide klingen mündlich (aural, oral, nah), aber das eine denkt sich stärker als geschlossener Erzählbogen einer Folge. Wie bewerte ich jetzt, welcher Podcast sprechender oder narrativ offener(?) ist, bzw. wie müsste ein Koordinatensystem aussehen, in dem ich auch Serial, Podlog, The Blindboy Boatclub, Sein und Streit und happy, holy & confident eintragen kann? Wie heißen die Achsen? Sekundäre Oralittät ←→ tertiäre Oralität und offene Erzählstruktur ←→ geschlossene Erzählstruktur? Aber was meine ich damit eigentlich?
- Zum Beispiel The 4 Different Types of Podcasts und 6 Popular Podcast Formats: Which One is Right for You? oder The Seven Most Common Podcast Formats: With Examples.
- Aufbauend auf den Arbeiten von Peter Koch und Wulf Oesterreicher.
- Aufbauend auf Walter J. Ong.
- Vielleicht wiederholt sich bei diesem Thema aber auch nur mein Widerstand aus der Zeit, als YouTuber:innen plötzlich anfingen Teil von Vermarkternetzwerken zu werden.
- Nilz Bokelberg macht sich im Podcast Gästeliste Geisterbahn darüber lustig, dass sich Hörer:innen beschwert haben, dass Susi (ein Spotify „Fiction Podcast“) ja kein Podcast sei, weil es keine RSS Feed gäbe. Aus seiner Sicht wirkt der Einwand natürlich albern, denn was kümmert ihn, was drauf steht. Genauso egal ist es Spotify, denn Podcast wird als Label nun mal mit der neuen Begeisterung für auditive Erzählen verbunden. Hörspielserie klingt viel zu sehr nach den drei Fragezeichen oder anstrengeden Kulturradiosendunden über die man stolpert, wenn man nachts auf der Autobahn doch mal UKW hören möchte, um den Handyakku zu schonen.
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